12. Dezember 2014:

ROBIN statt Rentner. Unser ältester Mitarbeiter und der wohl älteste deutsche Club-Entertainer überhaupt, Horst, ist ein Unikat. Die Zeitung „Die Zeit“ hat einen wundervollen Artikel über ihn und seine Reise bei ROBINSON geschrieben, der genau das bestätigt:

DIE ZEIT Nº 48/2014

Der beliebteste Animateur der Robinson-Clubs ist 74 Jahre alt. Was macht er besser als die Jungen?

von Andreas Wenderoth

An der östlichen Grenze Ägyptens, dort, wo die Wüste ans Rote Meer stößt, liegt nicht weit von Hurghada der Robinson-Club Soma Bay. Der Bucht mit dem türkisfarbenen Wasser vorgelagert, gibt es einen künstlichen Teich, die „Oase“. Hier ruhen einige Gäste unter Strohschirmen auf Sonnenliegen mit sandfarbenen Kissen. Andächtig schauen sie auf die nahen Bergrücken und die Abendsonne, die in einer Stunde dahinter versinken wird. „Dann wollen wir mal den Riemen auf die Orgel schmeißen“, sagt ein Mann in weißen Shorts und blauem Crew-T-Shirt und setzt die Hi-Fi-Anlage in Gang.

„Klassik-Oase mit Horst“ heißt der allabendliche Programmteil des Clubs, der sich als „Ausatmen“ von einem langen Strandtag mit all seinen Ablenkungen versteht und auch als leiser Kontrapunkt zur Party, die später im Nightclub mit etwas härteren Rhythmen gefeiert wird. „Klassik-Oase mit Horst“ hat zwei Protagonisten: die Musik und Horst, der in erster Linie dafür sorgt, dass es auch wirklich um die Musik geht. Der gnadenlos, wenn auch freundlich einschreitet, falls Gespräche aufkommen sollten. Die Musik hat ungeteilte Aufmerksamkeit verdient; er hat sie ja eigens dafür ausgesucht. Heute ist Beethovens Neunte dran.

Horst Wulze aus Hannover, der sitzt, während die anderen liegen, ist mit 74 Jahren der wohl älteste deutsche Club-Animateur, wobei man bei Robinson lieber von Entertainer spricht. Das Wort Animation lässt Urlauber denken, sie würden jeden Moment für peinliche Gruppenspiele von ihrer Liege gezerrt. So etwas wagt heute längst kein Club mehr; doch die Angst davor hat sich gehalten. Horst also – hier duzt man sich – schiebt den Musik-Stick ein. Im Steingarten hinter den Gästen erhebt sich aus unsichtbaren Lautsprechern das Crescendo des ersten Satzes.

Natürlich müsste Horst nicht mehr arbeiten; der gelernte Drucker und spätere Abteilungsleiter im Anzeigenressort der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung bezieht eine anständige Rente. Für sein Verständnis ist das hier auch überhaupt keine Arbeit. „Ich arbeite nicht, ich tu nur was“, sagt er, wenn man ihn fragt. Heute hat er schon ziemlich viel getan. Um 7 Uhr morgens, als die Ersten abreisten, stand er nach einer kurzen Nacht bereits am Eingang, um sie zu verabschieden. Das macht er, wann immer es geht. Andi und Katja, zwei Stammgäste aus Hamburg, trugen ihre nagelneuen orangefarbenen Hightech-Sneaker, für die sich Horst so begeisterte, dass Andi sagte: „Probier doch mal an.“ Als ihr Taxi vom Flughafen zurückkehrte, hatte der Fahrer die Schuhe für Horst dabei. Er war gerührt, obwohl er ja weiß, dass viele Gäste ein besonderes Verhältnis zu ihm haben. Er hat es ja auch zu ihnen. Seine Kontakte nach Hannover sind überwiegend abgebrochen, seit er im Süden lebt. Manche der Stammkunden sind nun seine Freunde auf Zeit.

Eine Weile waren sie ausgeblieben. Kurz nach der Revolution vor drei Jahren hatte das Auswärtige Amt einen verschärften Reisehinweis für die Region ausgesprochen, bald darauf hatten sie im Club nur noch zwanzig Gäste. Aber mit der Entwarnung kamen sie nach und nach wieder, dieses Jahr ist das erfolgreichste seit der Eröffnung vor 16 Jahren: Im Juli und August waren die 348 Zimmer fast ausgebucht – in jenen Monaten also, die normalerweise schlechter laufen, weil Temperaturen von über 40 Grad nicht jedermanns Sache sind. Jetzt, im November, ist Hitze nicht mehr das Problem; und hinter den Kulissen sorgt die Clubleitung dafür, dass es auch sonst keines gibt.

Die Morgenkonferenz um 10.15 Uhr im Entertainer-Büro hatte etwas übellaunig begonnen. Der stellvertretende Abteilungschef rügte Nachlässigkeiten, vielleicht auch, weil er später mit roter Perücke gut gelaunt zum Beachvolleyball antreten sollte, obwohl ihn die Bandscheibe plagte. Dann fehlte jemand beim Küchendienst. „Mach ich’s halt“, sagte Horst. Ein Satz, der ihn dazu verpflichtete, ab 12 Uhr, nach dem Boccia-Kurs, mit roter Kochmütze am Salatsoßentisch zu stehen und nach Gästewunsch die Spezialsoße anzurühren, die unter anderem aus Knoblauch und Chilipaste besteht. Am Nachmittag folgten: etwa 37 Kurzgespräche mit Gästen, ein zweiter Boccia-Kurs, sieben Begrüßungen von Ankömmlingen – und jetzt eben Beethoven.

Horst reicht ein laminiertes Merkblatt zu Werk und Leben des Komponisten herum, das er aus Wikipedia zusammenkopiert hat: „Bisschen Beethoven?“ Dann geht er vorsichtig, damit seine Flip-Flops nicht in die Sinfonie klappern, zu jedem Gast und fragt: „’n Gläschen Wein?“ Ägyptischen Rosé, der höchste Einzelposten in der Küchenrechnung des Clubs; die Alkoholsteuer im Land beträgt 200 Prozent. Als der Paukenwirbel im letzten Satz anhebt und starker Wind aufzieht, reicht Horst Decken, die er behutsam, den Abstand wahrend, um die Füße der Gäste legt: „Angenehm, nicht?“

Natürlich hatte Beethoven nicht die Soma Bay und die Urlaubsformen unseres Jahrhunderts im Sinn, als er die 9. Sinfonie komponierte. Andererseits: Die Vertonung von Schillers Ode An die Freude hat bei genauerem Hinhören deutliche Parallelen zum aktuellen Robinson-Club-Song: Heißt es bei Schiller noch:

„Freude trinken alle Wesen
an den Brüsten der Natur.
Alle Guten, alle Bösen
folgen ihrer Rosenspur“,

formuliert es der Club-Song zeitgemäß etwas schmissiger:

„So ein ganz besonderer Tag,
dass ich mich grad selber frag:
Wieso kann es nicht einfach so bleiben?
Denn es gab mir wieder viel,
diese Zeit für das Gefühl.“

Dabei begann Horsts Clubeinstieg mit einem denkbar schlechten Gefühl: Nachdem seine Frau vor acht Jahren ihre Krebskrankheit überstanden zu haben schien, fuhren die beiden guter Dinge in den Robinson-Club nach Ägypten. Doch nach der Rückkehr erkrankte sie erneut und starb. Wenige Monate später, im Frühjahr 2007, fliegt Horst wieder an die Soma Bay – um den Tod der Frau zu verarbeiten, mit der er 42 Jahre verheiratet war. Oft sitzt er weinend am Strand. Dann flüchtet er sich in die Tätigkeit. Und fragt bei der Clubleitung, ob er nicht mithelfen kann. Der stellvertretende Clubchef sagt: „Lass es uns miteinander versuchen!“

Nach vier Monaten muss er wieder nach Deutschland, sich um seine Schwester kümmern. Danach kehrt er zunächst nicht an die Soma Bay zurück, weil ihn plötzlich Rufe aus anderen Robinson-Clubs erreichen. Was indirekt wiederum mit dem stellvertretenden Clubchef aus Soma Bay zusammenhängt. Der hat inzwischen eine Abhandlung verfasst, die Horst in den höchsten Tönen lobt. Eine „Lex Horst“ (wie dieser sie bis heute nennt), die schnell auch in der Zentrale in Hannover kursiert. Seitdem kann er seinen Einsatzort wählen.

Bis auf einen einzigen kennt er heute alle 23 Robinson-Clubs, in sieben davon hat er gearbeitet. „Wo ich bin, das ist mein Club“, sagt Horst. Er ist diplomatisch genug, nicht zu sagen, welchen er für den besten hält. Dass man ihm in Ägypten bereits zugesichert hat, er könne über seinen Jahresvertrag hinaus bleiben, mag vielleicht einen Hinweis geben. Hier hat er jedenfalls die Freiheit, seinen Tag zu planen, wie es ihm gefällt. Feste Termine sind nur die Klassik-Oase und die Boccia-Runde am Strand, bei der seine exzellente Wurftechnik auch Jüngere blass aussehen lässt.

Ein kleines bisschen Animation gehört natürlich doch dazu. Heute Nachmittag zum Beispiel. Horst hat sich wie immer die Kugeln aus einem Holzkasten geholt, der unweit der beiden Kamele steht, die hier Charles und Camilla genannt werden und neben den Palmen und einem als Beduinenzelt getarnten Verkaufsstand für ein bisschen Lokalkolorit sorgen. Er hat dann, weil noch keine Gäste zu sehen waren, auf Höhe der Handtuchausgabe einen eindrucksvollen Jodler angestimmt („So unterhält man sich in Hannover“), und schon sind sie von ihren Liegen aufgestanden und herbeigeeilt: Ines, die pensionierte Ärztin, die bereits zum zwanzigsten Mal hier ist – wegen der „familiären Atmosphäre“, der Korallenbänke und ein bisschen auch wegen Horst. Anke, die trotz starker Zahnschmerzen gute Laune hat, Sven, der ein IT-Beratungsunternehmen führt und die längsten Haare am Strand hat, und ein Junge aus Hamburg, der seinen unbedingten Siegeswillen hinter einer verspiegelten Sonnenbrille versteckt. Horst hat das „Schweinchen“ geworfen und die Versuche der anderen mit „Fast“ oder „Das könnt ihr besser“ kommentiert – nur um dann mit einem Kunstwurf in letzter Minute sein Team zum Sieg zu führen. Dann haben sich alle die Hände geschüttelt.

Horst kann hervorragend Sächsisch, Bayerisch, Hamburgisch und andere Mundarten nachmachen, setzt dieses Talent aber nur sehr dosiert ein. Stets hat er ein freundliches Wort für jeden. Alte Schule – charmant, aber nie aufgesetzt. Oder so, als müsste er einem Konzept entsprechen. Horst entspricht sich vor allem selbst. Und hat im Übermaß, was er bei Menschen am meisten schätzt: Herzenswärme. Aber, das ist seine andere Seite, er greift auch ein, wenn Jugendliche ihre Füße auf den Tisch legen: „Mensch, Jungs, von dem Tisch wird gegessen!“ Und geht dazwischen, als ein Vater sein Kind beschimpft. Es hat die Kamera ins Wasser fallen lassen, mit der es die Eltern fotografieren sollte. „Das ist ungerecht, du hast ihm doch diese Verantwortung übertragen“, sagt er und stellt sich so lange zu dem Vater, bis der sich beruhigt hat. Grüßt jemand nicht zurück, grüßt er ihn wieder. Beim zweiten Mal verstehen die meisten das Prinzip.

Der Titel „Entertainer“ wird Horst nicht ganz gerecht. Auch wenn er gerade mal nichts tut, spürt man seine Präsenz. Nicht wenige Stammgäste sind vor allem seinetwegen da. Sie sagen, er sei die Seele des Clubs. Einige bringen ihm zum Dank Streuseltaler aus Deutschland mit, Landjäger und Mettwurst, weil es doch kein Schweinefleisch gibt. „Jeder Club müsste einen Horst haben“, sagen sie.

Das sieht auch Clubchef Patrick Brändle so. Brändle ähnelt ein bisschen Brad Pitt. (Wogegen Horst viele Gäste an den früheren Kapitän vom Traumschiff erinnert, vor allem wenn er seinen weißen Gala-Anzug trägt.) Horst ist doppelt so alt wie Brändle, der sagt, Horst sei wie ein Ziehvater für ihn. Und ein Synonym für etwas, was den meisten Clubs fehlt. Neulich hat er in Hannover angerufen und gesagt, er brauche noch einen „Sport-Horst“.

Auf jeder Direktoriumstagung predigt Brändle: „Horst muss das Modell sein!“ Und er meint dabei gar nicht so sehr Horsts Alter, sondern seine Hingabe. Wenn er von den jungen Mitarbeitern spricht, klingt Brändle selbst ein wenig wie ein alter Herr. Die fragten oft als Erstes nach dem Gehalt und ihren freien Tagen, nicht nach dem Wohl des Gastes. Mit Horst hat er dieses Problem nicht.

Um 21.45 Uhr steht Horst in Abendgarderobe am Eingang zur Halloween-Show, die unter dem Motto „Pfad des Grauens“ durch die Katakomben der Anlage führt. Je nachdem, wie er die Gäste einschätzt, gibt er beruhigende Worte („Alles nicht so schlimm!“) oder Spannungssteigerndes („Traut ihr euch das zu?“) mit auf den Weg. Die Frage ist so unberechtigt nicht, denn im Vergleich zur Kinderversion früher am Abend wird nun Handfesteres geboten: „Komm, Bello“, sagt einer, an dessen Hundeleine ein Stück blutiges Fleisch hängt. Hinter der Stahltür, über der mit großen Buchstaben „Point of no return“ steht, werden die gruselwilligen Gäste im Blendlicht durch enge Gänge entlang der Wasserrohre unter dem Pool geschleust. Sie sehen durchbohrte Leiber, Gepeinigte, die sich ihnen in den Weg stellen, einen Operationsraum, in dem recht lässig mit Innereien umgegangen wird.

Horst muss nicht wie die jüngeren Kollegen am Abend auf der Bühne stehen, weder singen noch sich später auf der Tanzfläche zu besonderer Extrovertiertheit zwingen (er tanzt eigentlich lieber klassisch). Sein Ort ist die Hauptbar hinten links. Nach Mitternacht sitzt er dort beim Drink und denkt über sein Leben nach. „Zeig mir einen Menschen, dem es besser geht als mir.“ Der Club war eine Krücke nach dem Verlust seiner Frau. Heute kann er sich ein Leben ohne ihn kaum mehr vorstellen. Vielleicht eines Tages, wenn es ihm einmal schwerfallen sollte, morgens aufzustehen. Wenn er die Gäste nicht mehr als Bereicherung sähe, sondern als Belastung. Aber dieser Tag scheint noch fern zu sein.

Horst sagt, er würde es sich sehr überlegen müssen, ob er sein jetziges Leben für eine Frau aufgeben wollte. Natürlich gebe es hin und wieder Möglichkeiten, aber Urlaubsflirts seien nichts für ihn. Er brauche Zeit und Vertrautheit. Und natürlich einen sehr guten Grund. Einmal ist ihm vor den Gästen der Satz rausgerutscht: „Mensch, ihr habt alle was zum Kuscheln.“ Wenig später haben sie ihm einen riesigen Teddy vor seine Tür gestellt.

DIE ZEIT Nº 48/2014